Der Siebenarmige Leuchter

Der Siebenarmige Leuchter dient während der Woche als Auflage für die Heilige Schrift, in der Kirchenbesucher lesen können, bei der Eucharistiefeier aber als Ablage für das Evangeliar (Buch mit den Evangeliumstexten der Sonntage und Festtage). Das Evangeliar soll beim festlichen Einzug zum Gottesdienst mitgetragen, zum Zeichen der Gegenwart des Herrn in seinem Wort, dann aber nicht irgendwo abgelegt werden, sondern einen würdigen Platz erhalten, von dem es während des Wortgottesdienstes zur Verkündigung des Evangeliums geholt und nach der Verkündigung wieder dorthin gebracht wird. Dieser würdige Platz ist bei uns der Siebenarmige Leuchter. Den Siebenarmigen Leuchter findet man in vielen Kirchen, z.B. im Dom von Mailand (14. Jahrh.), im Dom zu Braunschweig, in St. Gereon in Köln, im Dom zu Würzburg, in der Kirche St. Michael der Communität Casteller Ring, Schloss Schwanberg, und in vielen anderen Kirchen - manchmal in gewaltigen Ausmaßen, manchmal in bescheidener Größe.

Kein anderes Symbol ist so eng mit dem Judentum verbunden wie der Siebenarmige Leuchter, auch Menora genannt. Die Geschichte dieses Leuchters ist dreitausend Jahre alt. Er wurde bereits für das Bundeszelt angefertigt (Exodus 37,17-24), stand später im Tempel von Jerusalem vor der Südwand im Inneren des Heiligtums und wird geschildert als Leuchter aus massivem Gold. Vom Schaft gingen nach rechts und links drei Röhren in konzentrischen Kreisen, deren Enden zusammen mit dem Schaft sieben Öl-Lampen trugen. Die Idee des Siebenarmigen Leuchters stammt wahrscheinlich aus der mesopotamischen, mythologischen Religionswelt, in der er ein Zeichen für den Weltenbaum oder auch für den Lebensbaum war. Die Zahl Sieben als heilige Vollkommenheitszahl durchwaltet diesen Lichtbaum. Vielleicht ist die Idee dieses Leuchters auch durch die phönizischen Handwerker, die König Salomo für seinen Tempelbau verpflichtet hatte, in das Inventar des Ersten Tempels eingebracht worden. Wo dieser Leuchter des Ersten Tempels (10. Jahrhundert vor Chr.) geblieben ist, ist unbekannt.

Zweifellos hatte auch der Herodianische Tempel einen Siebenarmigen Leuchter. Ein Dokument für dessen Existenz ist das Relief im Titusbogen auf dem Forum Romanum in Rom, in dem der Siebenarmige Leuchter des Herodianischen Tempels nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels im jüdischen Krieg 70 nach Chr. als erbeutete Kostbarkeit im Triumphzug des siegreichen Feldherrn Titus dargestellt ist. Wahrscheinlich handelt es sich um jenen Leuchter, den der Freiheitskämpfer Judas Makkabäus im Jahr 164 vor Chr. für den Tempel anfertigen ließ. Das Licht der sieben Öl-Lampen musste die Nacht erhellen und durfte nie erlöschen. Es war – neben anderen Deutungen – ein Sinnbild für die dauernde Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes.

Der siebenarmige Leuchter ist Sinnbild des Alten Bundes, aus dem Maria und Josef, Simeon und Hanna, Jesus und die Apostel, Johannes der Täufer und die vielen Jüngerinnen und Jünger Jesu kamen, die auf das Kommen des Messias warteten. Sie sahen ihre Hoffnung nach dem Tod und der Auferstehung Jesu in seiner Person erfüllt und trugen diese Hoffnung als Evangelium, als Frohe Botschaft, in alle Welt hinaus. Darum hat der Bildhauer Max Faller an Stelle der mandelförmigen oder blütenförmigen Früchte, welche die Arme des Leuchters ursprünglich zierten, in zwölf Medaillons die Bilder der zwölf Apostel eingefügt. Jesus ist dargestellt als der lehrende Christus, dessen Worte und Taten die vier Evangelisten überlieferten. Deshalb finden sich die vier Evangelistensymbole an der Basis des Leuchters: Menschenantlitz, Löwe, Stier und Adler.

Der siebenarmige Leuchter erinnert uns daran, aus welcher geistigen und geistlichen Heimat wir kommen und wo die Wurzeln unseres Glaubens sind: in der Glaubensfamilie des Abraham, des Mose, des David und unseres Bruders Jesus, der mit seinen Schwestern und Brüdern aus dem Judentum die Thora (die fünf Bücher Mose) und die Propheten gelesen und ausgelegt hat, der mit ihnen das Gotteslob der Psalmen gesungen hat, in der Synagoge, bei den großen Wallfahrten nach Jerusalem und im täglichen Gebetskreis seiner Familie und seiner Freunde.

Aus diesen Psalmen besteht heute noch zum größten Teil das Stundengebet der Kirche, das tägliche Gotteslob. Denn die zwölf Boten haben dieses Lob in alle Welt getragen. Nun verbinden sich das Lob der Apostel, das Lob des alten Gottesvolkes und das Lob des neuen Gottesvolkes mit dem Lobgesang der ganzen Kirche und unserer Gemeinde. Es wird durch Jesus Gott dargebracht, als das „Opfer des Lobes“, wie es die Kirche in ihren liturgischen Texten immer wieder bezeichnet. So ist das Gotteslob des alten Bundes und das Gotteslob des neuen Bundes zusammengefasst in einer Person, Jesus, dem Christus, von ihm gesprochen, gesungen, gebetet in vertrauten Bildern, oder umgesetzt in neue Bilder, Gleichnisse, Worte und Taten und gelebt durch eine totale Zuwendung zu den Menschen. Der jüdische Schriftsteller Friedrich Weinreb schreibt in seinem Buch "Der siebenarmige Leuchter" (Thauros Verlag 1985): „Zwei Welten fallen im Leuchter zusammen, deshalb ist er ein Symbol (von griechisch symballein – zusammenfallen)“. Er denkt dabei an die Siebenzahl, die sowohl in der Gestalt des Leuchters, als auch im Grundmuster der Schöpfung und der menschlichen Existenz zu erkennen ist. Christen können an die beiden Welten des Alten und des Neuen Bundes denken, die durch die Selbstoffenbarung Gottes in der Person Jesus von Nazareth ihre Zusammenfassung und Einheit gefunden haben.

Der Siebenarmige Leuchter trägt sieben Lichtquellen. In der Antike hatten die Zahlen ihre je eigene Bedeutung. Die Zahl Drei ist die Zahl der göttlichen Einheit, Lebendigkeit und Schöpferkraft, die Zahl Vier ist dem Kosmos zugeordnet. Zwölf enthält drei und vier multipliziert. Das ist die Zahl der neuen Schöpfung, in der die neue Erde und der neue Himmel, der göttliche und der irdische Bereich, zu einer Einheit verschmelzen im Bild der himmlischen Stadt Jerusalem. Die Offenbarung, die letzte Schrift des Neuen Testaments, ist voll von geheimnisvollen Zahlen. Auch die Zahl Sieben findet sich dort immer wieder. Die Offenbarung ist ein Trostbuch für sieben Christengemeinden in Kleinasien, Sinnbilder dieser Gemeinden sind die sieben goldenen Leuchter, die um den Thron Gottes stehen. Sieben Sterne befinden sich in der rechten Hand dessen, der zwischen den sieben Leuchtern wandelt. Die sieben Sterne sind die sieben Engel der sieben Gemeinden. (Offenbarung 1,20)

Auch in der profanen Welt leuchtet immer wieder die Zahl Sieben auf. Sieben Tage hat die Woche. Sieben Farben hat das Licht. Sieben Gestirne von besonderer Bedeutung kannte man im Altertum. Das Buch Deuteronomium (5. Buch Mose) zählt sieben Früchte oder Wachstumsarten in ihrer Reihenfolge auf: Weizen, Gerste, Weinstock, Feige, Granatapfel, Olive, Dattel. Die Stadt Rom ist auf sieben Hügeln erbaut. Von den sieben Toren Thebens wird berichtet und von sieben Weltwundern.

In seiner Schrift „Der siebenarmige Leuchter“ (Thauros Verlag) schreibt der jüdische Schriftsteller Friedrich Weinreb: Der Leuchter als Stamm mit sechs Armen wird als Baum erlebt, als ein Baum aus Gold mit mandel- oder blütenförmigen Früchten. Die Beschreibung im Hebräischen sagt mehr, als es Übersetzungen vermitteln könnten, denn es ist die Sprache, in der das Bild des Leuchters unmittelbar lebt und erlebt werden kann. Seine Siebenheit sind die sieben Sephirot, also die sieben "Zahlen" oder Sphären. Sie lauten in ihrer Reihenfolge: Die Güte, die Barmherzigkeit, die Harmonie, der Sieg, das Loben, das Fundament, das Reich. Eine Pfarrgemeinde erklärte ihren Firmbewerbern die sieben Flammen auf dem siebenarmigen Leuchter im christlichen Sinn als die sieben Gaben des Geistes Gottes und kann sich dabei auf das Buch Jesaja berufen. Dort finden wir sie in der Reihenfolge: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht, (Jesaja 11,2+3). Die Offenbarung spricht von dem Lamm, das die sieben Siegel öffnen darf (Offenbarung Kap. 5, 6 und 8). Die Zahl Sieben ist Vollkommenheitszahl, Endgültigkeitszahl und Heiligungszahl. Darum feiern wir sieben Sakramente.

Immer wieder lassen sich mit der Siebenzahl Querverbindungen herstellen von den Symbolen des Siebenarmigen Leuchters zur Welt des Glaubens, des Kosmos und des menschlichen Lebens. Es empfiehlt sich, den siebenarmigen Leuchter immer wieder zu betrachten, sich hinein nehmen zu lassen in seine Aussagekraft und darauf Antwort zu geben, etwa mit den Worten aus dem Credo der Kirche, die der Bildhauer Max Faller als sein und unser Bekenntnis in den Schaft des Leuchters eingegraben hat: „Deum de Deo, Lumen de Lumine - Gott von Gott, Licht vom Licht“!